Regeln für Hochvoltfahrzeuge überarbeitet

Fahrzeughersteller, Service­werkstätten, Betreiber von Fahrzeugflotten, Pannenhilfsdienste und Entsorger werden bereits seit Langem durch die Berufsgenossenschaften zum sicheren Umgang mit hybriden oder rein elektrischen Antrieben beraten.

Elektrofahrzeuge gliedern sich mittlerweile sprichwörtlich lautlos auf öffentlichen Straßen in den Verkehr ein. Elektrische Antriebe für Fahrzeuge erfordern dabei eine hohe Leistung für das gewünschte Beschleunigungsvermögen und eine große Energiedichte für eine hohe Reichweite bei gleichzeitig geringem Bauraum des Speichers. Um diese Anforderungen zu erfüllen, werden die sogenannten Hochvoltsysteme für hohe elektrische Spannungen und Ströme ausgelegt. Der Begriff Hochvolt hat sich als Abgrenzung zur konventionellen Fahrzeugtechnik etabliert. Durch den Begriff Hochvolt wird auf die besonderen Eigenschaften des Fahrzeugantriebs hingewiesen und eine entsprechende elektrotechnische Fachkunde der mit oder an dem Fahrzeug Arbeitenden eingefordert.

Bei Arbeiten an diesen Fahrzeugen muss mit einer Gefährdung durch elektrischen Schlag oder Störlichtbögen gerechnet werden. Größere Unternehmen haben deshalb frühzeitig die eigenen Beschäftigten weiterqualifiziert. Seit über zehn Jahren begleiten die Berufsgenossenschaften die Unternehmen bei diesem Prozess durch eine Informationsschrift für das Qualifizieren für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen. Ziel war es, die Beschäftigten mit den Anforderungen der neuen Technik vertraut zu machen und ihnen die entsprechenden Kenntnisse zu vermitteln, damit sie mit dieser Technik ebenso sicher umgehen können wie mit der konventionellen Fahrzeugtechnik. Darüber hinaus sind die Berufsgenossenschaften Ansprechpartner bei Fragen zu sicheren technischen und organisatorischen Lösungen.

Vier junge Menschen um einen elektronischen Schaltkasten herum im Gespräch.
Sowohl das Qualifizieren als auch das Unterweisen muss in der Praxis am Hochvoltsystem erfolgen, an dem später auch die Arbeiten ausgeführt werden. Theoretische Schulungen reichen nicht aus.

Die Entwicklung des Marktes machte es erforderlich, dass die Informationsschrift der DGUV nun überarbeitet wurde. So zum Beispiel wurde der Anwendungsbereich konkretisiert.

Die Elektrotechnik mobilisiert nicht nur Fahrzeuge für den öffentlichen Straßenverkehr. Vom Rollstuhl mit Elektroantrieb über Elektrofahr- und Motorräder bis hin zu Bahnen, Schiffen und Flugzeugen gibt es mittlerweile für jede Mobilitätsform einen Elektroantrieb. Viele der Antriebsarten sind dabei nicht einmal neu, sondern seit vielen Jahrzehnten praktisch erprobt. Überall dort, wo bereits sichere Arbeitsverfahren etabliert sind und in der Berufsaus- und Fortbildung vermittelt werden, werden in der Informationsschrift keine zusätzlichen Anforderungen gestellt. Dazu gehören beispielsweise spurgeführte Fahrzeuge wie Straßenbahnen, Seilbahnen oder Trolleybusse sowie Auf- und Anbaugeräte für Fahrzeuge, die der Maschinenrichtlinie unterliegen. Ebenso wenig werden Fahrzeuge mit dauerhaftem Anschluss am Stromnetz während der Nutzung (zum Beispiel im Tagebau oder auf Schrottplätzen) oder Wasser- und Luftfahrzeugen behandelt.

Darüber hinaus sind neue Arbeitsverfahren für Arbeiten an Hochvoltsystemen zwischenzeitlich auch in die Berufsausbildungsgänge in der Fahrzeugtechnik eingeflossen. Personen, welche beispielsweise die Ausbildung im Bereich Kfz-Mechatronik in den Schwerpunkten:

  • Personenkraftwagentechnik
  • Nutzfahrzeugtechnik
  • Motorradtechnik
  • Karosserietechnik
  • System- und Hochvolttechnik

nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker und zur Kraftfahrzeugmechatronikerin vom 14. Juni 2013 erfolgreich abgeschlossen haben, besitzen bereits die Fachkunde für Arbeiten an Hochvoltkomponenten, aber nur in Servicewerkstätten für Serienfahrzeuge. Häufig wurde in der Vergangenheit auch die Frage gestellt, ob denn die nach der DGUV Information 209-093 qualifizierten Personen damit auch Elektrofachkräfte wären. Für die Betreffenden ist diese Frage deshalb relevant, weil damit häufig verknüpft wird, diese Personen könnten dann beispielsweise elektrische Handwerkzeuge reparieren. Gemäß Unfallverhütungsvorschrift „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ (DGUV Vorschrift 3) dürfen elektrotechnische Arbeiten (Errichten, Ändern und Instandhalten) nur von Elektrofachkräften oder unter deren Leitung und Aufsicht ausgeführt werden. Elektrofachkräfte müssen aber jeweils für ihr spezifisches Aufgabengebiet qualifiziert sein. Fachkenntnisse für die Reparatur von elektrischen Handwerkzeugen werden beim Qualifizieren für Arbeiten an Hochvolt-Fahrzeugen allerdings nicht vermittelt. Die nach DGUV Information 209-093 qualifizierte und nachfolgend beschriebene „Fachkundige Person Hochvolt“ (FHV) ist nach DGUV Vorschrift 3 nur für das elektrotechnische Teilgebiet Hochvoltsysteme qualifiziert. Deshalb kann die FHV im Unternehmen auch nur auf diesem Gebiet als Elektrofachkraft eingesetzt werden.

Im Fahrzeugbau von Serienfahrzeugen wird für Arbeiten am Fahrzeug zwischen dem Zeitraum vor dem Start der Produktion (SoP) und nach dem Start der Produktion unterschieden. Für produzierte Serienfahrzeuge sind detaillierte Arbeitsanweisungen für alle am Fahrzeug notwendigen Arbeiten vom Hersteller erstellt. Die in den Servicewerkstätten arbeitenden Fachkundigen können sich in hohem Maße darauf verlassen, dass wesentliche Sicherheitsmaßnahmen bedacht wurden und nicht für jedes Fahrzeug neu beurteilt werden müssen. Demgegenüber sind Arbeiten an Prototypen vor dem Start der Produktion häufig noch einer Entwicklung ausgesetzt, die ein ständiges Beurteilen möglicher Gefahren bei den aktuellen Arbeiten notwendig macht.

Das zugrundeliegende Ausbildungsmodell trägt diesen unterschiedlichen Anforderungen an das eigesetzte Personal Rechnung, indem getrennte Anforderungen für die Entwicklungsarbeiten am Fahrzeug in den Stufen E, 1E, 2E und 3E und für die Arbeiten in Servicewerkstätten in den Stufen S, 1S, 2S und 3S beschrieben werden. Nach wie vor sind nicht alle Servicewerkstätten personell in der Lage, unverzüglich Arbeiten an Hochvoltsystemen durchführen zu können. Beschäftigte mit einer entsprechenden Berufsausbildung fehlen. Allerdings können die in den Werkstätten arbeitenden Personen wie beispielsweise Kfz-Elektriker oder Kfz-Schlosser mitentsprechender Vorbildung für die Arbeiten an Hochvoltsystemen qualifiziert werden. In der DGUV Information werden für wesentliche Berufsgruppen, die in der Fahrzeugtechnik bisher mit konventionellen Fahrzeugen gearbeitet haben, dargestellt, wie und in welchem Umfang sie zu qualifizieren sind, um auch an Hochvolt-Fahrzeugen sicher arbeiten zu können. Je nach Art der Arbeit und dem damit verbundenen Eingriff in das Hochvoltsystem ergeben sich unterschiedliche Qualifikationsstufen.

Für das Fahren und das Reinigen der Fahrzeuge ist dabei vorgesehen, die betreffenden Personen zu besonderem Verhalten, auch bei Störungen oder Unfällen, und der Vorgehensweise beim Laden zu sensibilisieren, wie es auch bei anderen Fahrzeugen erforderlich ist (Stufen E beziehungsweise S). Sollen Arbeiten am Fahrzeug ausgeführt werden, die nicht das HV-System betreffen wie zum Beispiel Arbeiten an der Bremsanlage oder an der Karosserie, so sind die arbeitenden Personen von Fachkundigen Personen über die Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit dem HV-System zu unterweisen. Beispielsweise ist bei Arbeiten an der Karosserie die Lage der HV-Leitungen zu beachten (Stufen 1E beziehungsweise 1S).

Arbeiten am Hochvoltsystem als Elektrofachkraft bleiben den dafür qualifizieren Fachkundigen für Hochvolt vorbehalten. FHV können abschätzen, welche Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen, um gefahrlos am Fahrzeug zu arbeiten. Außerdem können sie selbst Arbeiten an spannungsfreien Teilen des HV-Systems durchführen. Darüber hinaus können sie weitere Personen entsprechend unterweisen (Stufen 2E beziehungsweise 2S). Das Arbeiten unter Spannung bleibt besonders geschultem Personal vorbehalten. Die hohe Spannung und mögliche Rückwirkungen der Arbeiten auf das eingeschaltete HV-System machen hier eine zusätzliche Ausbildung inklusive der Kenntnisse über die systemseitigen Sicherheitsmaßnahmen und die damit einhergehenden sicheren Arbeitsverfahren notwendig (Stufen 3E beziehungsweise 3S). Am Endes des Lebenszyklus eines Betriebsmittels wird der sachgerechte Umgang mit den eingesetzten Wertstoffen immer wichtiger. Insofern ist auch hier nicht nur unter dem Aspekt der Arbeitssicherheit ein fachkundiger Umgang mit den elektrischen Komponenten gefordert. Vor dem Recycling oder dem Weiterverwerten muss das HV-System von einer Fachkundigen Person (FHV) unter Beachtung der konkreten Herstelleranweisungen sicher freigeschaltet werden. Die HV-Komponenten müssen vom Bordnetz getrennt und für den Ausbau vorbereitet werden. Danach sind die elektrischen Energiespeicher entsprechend den Herstelleranweisungen auszubauen und fachgerecht zu entsorgen. Müssen Arbeiten an unter Spannung stehenden HV-Komponenten durchgeführt werden (zum Beispiel Zerlegen des Energiespeichers), ist eine Qualifikation nach Stufe 3S erforderlich.

Die DGUV Information 209-093 gibt über den gesamten Lebenszyklus von Hochvolt-Fahrzeugen Hinweise für die jeweils erforderliche Qualifikation der an den Fahrzeugen arbeitenden Personen. Damit soll ein Beitrag zur Prävention von Arbeitsunfällen im Umgang mit elektrischer Energie in Fahrzeugen geleistet werden.

 

 

Drei Fragen an den Experten

Warum war es notwendig, die Regelungen anzupassen?

Inzwischen liegen viele neue Erfahrungen im Umgang mit Hochvoltfahrzeugen vor, sodass die Regelungen aufgrund der praktischen Erkenntnisse angepasst werden mussten.

Warum werden jetzt die Stufen E und S eingeführt? 

Die Unterscheidung für E (Entwicklungsarbeiten) und S (Arbeiten in Servicewerkstätten) gibt es zum Beispiel bei Gasfahrzeugen schon längere Zeit, sie hat sich bewährt. Für die Verkehrsbetriebe sind besonders die Stufen S, 1S, 2S und 3S wichtig.

Gibt es Anpassungen für Verkehrsbetriebe?

Ja, das VBG-Fachwissen „Elektromobilität“ wird derzeit an die aktuellen Regelungen angepasst.

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