Traumatische Ereignisse – Umgang mit psychischen Unfallfolgen

In der Branche ÖPNV/Bahnen sind die Unfälle mit psychischen Unfallfolgen nach traumatischen Ereignissen Schwerpunkt im Unfallgeschehen. Ausgelöst durch schwere Unfälle, Personenschäden, Suizide von Dritten, Übergriffe oder Überfälle, kann es zu einer akuten Belastungsreaktion kommen. Unbehandelt kann daraus eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entstehen. Betroffene befinden sich, oft schuldlos, in einer Situation, die sie selbst nicht bewältigen können, und brauchen schnell Unterstützung.

Gefährdungen beurteilen

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist zu ermitteln, welche Gefährdungen vorliegen, in welchen Bereichen traumatische Ereignisse vorkommen können und mit welchen Maßnahmen diesen begegnet werden kann. Dabei sind alle Unternehmensbereiche einzubeziehen. Insbesondere bei der Festlegung der Maßnahmen präventiv und nach Unfällen kann das ­Verlaufsschema mit den Betreuungsphasen und den Handlungsverantwortlichen (siehe Abbildung) helfen. 

Grafische Tabelle zu Betreuungsphasen und Handlungsverantwortlichen
Betreuungsphasen und Handlungsverantwortliche, Abbildung aus dem Grundsatz 306-001 „Traumatische Ereignisse – Prävention und Rehabilitation“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV)

Betriebliche Konzepte und Einsatz der Erstbetreuer

Betriebliche Konzepte zum Umgang mit traumatischen Ereignissen unterstützen die Unternehmen bei der systematischen Hilfestellung für alle betroffenen Beschäftigten. Sie regeln betriebliche Abläufe und helfen, Betroffene schnellstmöglich zu betreuen und zu begleiten.

In den Konzepten, wird festgelegt, 

  • wer das Vorgehen koordiniert, 
  • wer wen im Rahmen der Rettungskette alarmiert, 
  • wie und durch wen der Erstbetreuereinsatz erfolgt,
  • wie die Beschäftigten bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützt werden und
  • welche Absprachen es mit der Berufsgenossenschaft gibt.
Ein Mann in gelber Warnweste mit dem Erstbetreuer-Rucksack verlässt einen Raum durch die Tür.
Die Erstbetreuenden haben ihre Ausrüstung in einem Rucksack griffbereit.

Das Vorgehen sollte mit dem Betriebsrat abgestimmt werden und in schriftlicher Form vorliegen. Die Beschäftigten sollten über den Inhalt informiert werden.

Wichtiges Element ist die Erstbetreuung möglichst am Ereignisort. Dort kümmern sich ausgebildete Erstbetreuer um die Betroffenen. Sie schützen und unterstützen am Unfallort und helfen bei den oft notwendigen Formalitäten. Sie sorgen bei Bedarf für medizinische Hilfe, begleiten nach Hause oder zum Betriebshof. 

Die Erstbetreuer benötigen eine Ausbildung und sollen sich alle zwei Jahre fortbilden. Anzahl und Auswahl sollten unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten erfolgen.

Unterstützung durch die VBG

Die Aufsichtspersonen der VBG beraten die ­Unternehmen und unterstützen bei der Erstellung oder Aktualisierung der betrieblichen Betreuungskonzepte. 

In den Akademien der VBG werden Seminare für Führungskräfte und Verantwortliche angeboten, in denen ebenfalls Hilfestellung zum Inhalt betrieblicher Konzepte gegeben wird. Darüber hi­naus gibt es Seminare zur Ausbildung von Erstbetreuern und Erstbetreuerinnen sowie Workshops mit Erfahrungsaustausch für ausgebildete Erstbetreuende. Innerbetriebliche Aus- und Fortbildungen können bei Vorliegen der Voraussetzungen mit bis zu 1.200 Euro bezuschusst werden. Das warnkreuz SPEZIAL Nr. 2 „Betreuung von Beschäftigten in Verkehrsunternehmen nach traumatischen Ereignissen“ gibt weitere Hinweise für die betriebliche Umsetzung.

Ein Beispiel guter Praxis: Das Betreuungskonzept der HAVAG

Die Hallesche Verkehrs-AG (HAVAG) hat ein Konzept zur Betreuung der Beschäftigten nach traumatischen Ereignissen entwickelt und eingeführt. Dieses sieht vor, dass alle Beschäftigten der HAVAG, der Service-Gesellschaft Saale mbH (SGS) und im speziellen Fall der gesamten Stadtwerke-Halle-Gruppe, zu denen die ­HAVAG und die SGS gehören, nach traumatischen Ereignissen betreut und begleitet werden können. Das Verfahren beschreibt die innerbetrieblichen Abläufe von der Meldung eines Unfalls in der Leitstelle über die Erstbetreuung am Unfallort bis zur Betreuung und Begleitung bei der Wiederaufnahme der Tätigkeit. Auch die Einsatzkriterien, Meldewege, Aus- und Fortbildung der Erstbetreuenden und die Ausstattung für den Einsatz werden geregelt.

Die Betreuung in der Praxis

Zwei Männer sitzen sich in einem Raum in Sesseln gegenüber.
Für Gespräche mit Betroffenen steht im Betriebshof ein eigens dafür eingerichteter Raum zur Verfügung.

Nach einem schweren Ereignis erfolgt eine Meldung in der Regel bei der Leitstelle der HAVAG. Dort wird entschieden, ob eine Erstbetreuung notwendig ist. Wenn ja, geht die Information an die Notfallhandys in den Bereichen Bus und Straßenbahn. Die Betreuung am Unfallort erfolgt während der Dienstzeiten der Fahrdienstleiter von circa 3 bis 23 Uhr durch aktuell zehn ausgebildete Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer aus den Bereichen Fahrdienstleitung, Teamleitung Fahrausweisprüfer, Leitung Verkehrsorganisation und Fachkraft für Arbeitssicherheit. Außerhalb der Dienstzeiten erfolgt die Betreuung durch das Kriseninterventionsteam der Stadt Halle. Die Erstbetreuenden nehmen in diesem Fall am nächsten Tag Kontakt mit den Betroffenen auf.

Für die Fahrt zum Unfallort steht ein Dienstwagen aus dem Fahrzeugpool der HAVAG zur Verfügung. Die Erstbetreuenden tragen eine Weste mit der Aufschrift „Erstbetreuer HAVAG“ und nehmen einen der „Betreuungsrucksäcke“ mit. In diesen befinden sich unter anderem Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel, ein Regenschirm, eine Taschenlampe, Materialien zur Errichtung eines temporären Sichtschutzes (zum Beispiel mithilfe einer Rettungsdecke) sowie Genussmittel, beispielsweise Schokolade und Zigaretten.

Unterstützung vor Ort

Die Betreuung am Ort des Geschehens erfolgt individuell in Abhängigkeit von den Gegebenheiten. Die Erstbetreuenden schützen die Betroffenen vor äußeren Einflüssen, Fragen von Journalisten, Passanten und der Polizei und klären die aktuellen Bedürfnisse. Sie informieren über die nächsten Schritte und entscheiden über die weitere Dienstausübung, wobei bei Personenschäden und schweren Unfällen sowie auf Wunsch der Betroffenen der Dienst generell beendet wird. Erscheint eine professionelle psychologische Betreuung notwendig, werden die Betroffenen direkt in das BG Klinikum Bergmannstrost Halle gebracht und dort behandelt. Ansonsten wird situationsabhängig über das weitere Vorgehen entschieden. Die Betroffenen werden weiter beobachtet, nach Hause begleitet oder können mit zum Betriebshof fahren.

Im Fahrdienstgebäude wurde mit den Geldern aus dem Prämienverfahren der VBG ein Betreuungsraum eingerichtet. In diesem befinden sich zwei gemütliche Sessel, Sideboard, Tisch und Garderobe. Eine Kaffeemaschine und Getränke stehen ebenso zur Verfügung wie ein Fernseher. Der Raum wurde farblich neutral gestaltet, bei der Auswahl von Bildern wurde auf beruhigende Motive geachtet. Die Betreuung kann hier in ruhiger ungestörter Atmosphäre erfolgen. Die Tür kann außen mit dem aus dem Hotel bekannten „Bitte nicht stören!“-Schild versehen werden, ein Telefon gibt es bewusst nicht. Erscheint es, zum Beispiel bei allein lebenden Beschäftigten, notwendig, können diese in dem Zimmer übernachten und haben in der ständig besetzten Leitstelle immer einen Ansprechpartner. 

Weitere Schritte

Im Rahmen der weiteren Betreuung erhalten alle Betroffenen Hilfsangebote zum Ausfüllen der Fahrbetriebs- und Unfallmeldung. Sie werden im Falle der Fahrdienstbefreiung gebeten, am nächsten Tag in das Unternehmen zu kommen. Hier kann dann in Abhängigkeit vom gewonnenen Eindruck über weitere Hilfe und notwendige Behandlung entschieden werden.

Wenn Beschäftigte erst nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder zum Dienst kommen, erhalten Sie unabhängig vom Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) und Wiedereingliederungsmaßnahmen durch die VBG Hilfe, zum Beispiel durch Begleitung bei Aufnahme des Diensts durch Lehrfahrer oder Fahrdienstleiter.

Mit dem Konzept und der Betreuung hat die HAVAG rundum gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn sich der Erfolg nur schwer in Zahlen ausdrücken lässt, sind die betroffenen Kolleginnen und Kollegen dankbar, dass sich jemand um sie kümmert und sie nicht alleingelassen werden.

Drei Fragen an eine Betroffene

Wie schätzen Sie die Betreuung durch den Erstbetreuer ein? 

Die Hilfe traf bereits nach kurzer Zeit am Unglücksort ein. Der im Einsatz befindliche Erstbetreuer war gleichzeitig Fahrdienstleiter. Dies schaffte von Anfang an eine vertrauensvolle Atmosphäre. Durch das einfühlsame und kompetente Handeln des Erstbetreuers fühlte ich mich jederzeit gut aufgehoben.

Was hat Ihnen geholfen?

Die Gespräche mit einer ­vertrauten Person in einer angenehmen ­räumlichen Atmosphäre.

Wie wurden Sie bei der Wieder­aufnahme der Arbeit unterstützt?

Ich empfand die spätere Begehung der Unfallstelle als sehr hilfreich und konnte in Begleitung eines von mir gewählten Lehrfahrers meine Tätigkeit wieder­aufnehmen. 

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