Neue EU-Richtlinie für Stadtbusse –

Seit dem Ende der Corona-Lockdowns werden in Deutschland wieder mehr Personen bei Verkehrsunfällen verletzt oder getötet. Besonders stark (um etwa 40 Prozent) hat seither auch die Zahl der Unfälle mit Personenschäden zugenommen, die durch Busse verursacht wurden. Mehr Sicherheit bieten hier moderne Fahrerassistenzsysteme. Sie können helfen, bis zu 50 Prozent der schweren Unfälle zu vermeiden.

Seit Juli 2024 schreibt die aktualisierte EU-Verordnung „General Safety Regulation“ (GSR) eine Reihe von Fahrerassistenzsystemen für alle neu zugelassenen Busse vor, um die Sicherheit im Straßenverkehr für alle Beteiligten zu erhöhen.

Zu den verpflichtenden Assistenzsystemen für Busse zählen unter anderem Aufmerksamkeitsassistenten (DDAW, Driver Drowsi­ness & Alertness Warning). Diese warnen akustisch oder optisch, wenn das Fahrverhalten auf Müdigkeit schließen lässt. Dies wird mithilfe von Kameras und Lenkwinkelsensoren erkannt.

Mehr Sicherheit beim Abbiegen

Die Verordnung fordert zudem den Einbau eines Abbiegeassistenten (BSIS, Blind Spot Informa­tion System). Dieser reagiert und warnt zudem auf Basis eines Sensorkonzepts bei Kollisionsgefahr mit zu Fuß Gehenden sowie Radfahrenden im toten Winkel. Eine Kombination aus Nah- und Fernbereichsradarsensoren sowie einer Kamera ermöglicht eine großflächige Sicht nach vorn und zur Seite. Damit wird auch das Linksabbiegen noch sicherer. Bei Geschwindigkeiten von über 40 Kilometern pro Stunde übernimmt der Assistent zusätzlich die Funktion eines Spurwechselassistenten. Bis zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit warnt er das Fahrpersonal vor Objekten auf der Fahrer- und Beifahrerseite. Bei Kollisionsgefahr wird die Fahrerin oder der Fahrer optisch und haptisch gewarnt.

Komplexes Warnsystem

Um Unfälle beim Anfahren, zum Beispiel an Ampeln oder Haltestellen, möglichst zu vermeiden, helfen Front- oder Auffahrassistenten (MOIS, Moving Off Information System). Sie erkennen und warnen vor möglichen Kollisionen mit ungeschützten Verkehrsteilnehmenden in unmittelbarer Nähe der Fahrzeugfront. Zusammen mit einem Abbiegeassistenten bilden sie ein komplettes Warnsystem, das vor Hindernissen und Personen seitlich und vor dem Bus warnt. Je nach Ausführung können diese Systeme auch aktiv in Bremse und Lenkung eingreifen.

Sicheres Rückwärtsfahren

Zu den in der GSR vorgeschriebenen Assistenzsystemen gehören auch Rückfahrinformationssysteme (REIS, Reversing Information System). Die Rückfahrkamera ist eine am Heck des Fahrzeugs angebrachte Kamera, die der Fahrerin oder dem Fahrer eine bessere Sicht auf den Bereich hinter dem Fahrzeug ermöglicht. Sie wird beim Einlegen des Rückwärtsgangs aktiviert und zeigt ein Livebild der Umgebung auf einem Monitor im Fahrzeug an. Außenspiegel werden bereits häufig durch Kameras ersetzt. Die Bilder werden auf Monitoren an der A-Säule und gegebenenfalls auf weiteren Bildschirmen angezeigt. In Verbindung mit einer Rückfahrkamera oder einem 360-Grad-Kamerasystem steht der Fahrerin oder dem Fahrer ein umfassendes Informations- und Warnsystem rund um den ­Omnibus zur Verfügung.

Geschwindigkeit einhalten

Für Busse sind außerdem Geschwindigkeits­assistenten (ISA, Intelligent Speed Assist) ver­pflichtend. Sie helfen beim Erkennen von Verkehrszeichen und beim Einhalten von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Hierbei erfolgt jedoch nur eine Warnung, die Geschwindigkeit kann trotzdem überschritten werden.

Mit dem Reifendrucküberwachungssystem (TPMS, Tire Pressure Monitoring System) ist in der EU-Verordnung ein weiteres wirksames Assistenzsystem vorgesehen. Dieses trägt zur Vermeidung von Reifenschäden und Druckverlust bei.

Weitere erforderliche Systeme

Die GSR II für Stadtbusse enthält weitere erforderliche Systeme, zum Beispiel Vorrichtungen für den Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre (ALC, Alcohol Interlock System), eines Notbremslichts (ESS, Emergency Stop Signal) sowie Vorrichtungen zum Schutz vor unbefugter Benutzung und zur Cybersicherheit.

Beispiele für Unterstützung durch Fahrerassistenzsysteme

 

Unterstützung beim Spurwechsel
Überwachung des Fahrverhaltens:Aufmerksamkeitsassistent
Einige Systeme zur Abstandskontrollekönnen auch Notbremsungen einleiten.
Höchstgeschwindigkeit einhalten mitGPS-gestützten Strecken- undGeschwindigkeitsüberwachungen.

Bremssystem nicht übertragbar

Der GSR-Verordnungstext legt zwar fest, welche Funktionen zwingend vorgeschrieben sind, jedoch wird die konkrete Umsetzung auf technischer Ebene den Fahrzeugherstellern überlassen. Diese müssen derzeit noch nicht alle möglichen Assistenzsysteme in Linienbussen verbauen. So ist ein Spurhalteassistent, der vor unbeabsichtigtem Überschreiten der Fahrbahnmarkierung warnt, aktuell nicht vorgeschrieben. Gleiches gilt für den Einsatz eines Notbremssystems. Zahlreiche Studien belegen zwar die Wirksamkeit und damit die Reduzierung von Unfällen bei Lkw, insbesondere bei Notbremsungen auf Autobahnen. Das System ist jedoch nicht direkt auf Busse übertragbar. Bei Stadtbussen ist dieses auch anders aufgebaut als bei schweren Nutzfahrzeugen. Der Grund: Stehende Fahrgäste würden bei einer sofortigen Bremsung schnell stürzen und sich verletzen. Deshalb bremst das System in Stadtbussen minimal ab, sodass ein für die Fahrgäste spürbarer Ruck durch das Fahrzeug geht. Dieser soll sie veranlassen, einen festen Halt zu suchen. Erst dann wird voll gebremst. Für die Fahrgäste ist eine solche Situation zumindest ungewohnt, da nur eine Teilbremsung erfolgt. Fahrerinnen und Fahrer können dieses System grundsätzlich übersteuern, indem sie eine Vollbremsung mit maximaler Bremskraft einleiten.

Vorsicht bei Deaktivierung

Fahrerassistenzsysteme können einen wichtigen Beitrag leisten, um für mehr Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. Allerdings haben auch diese technischen Lösungen ihre Grenzen – sei es, dass der Radarsensor für den Notbremsassistenten bei Schneefall nicht mehr funktioniert oder der Spurassistent bei überlagerten Fahrbahnmarkierungen in Baustellen falsch warnt. In diesem Fall genügt es, das betreffende System abzuschalten. Die anderen Systeme sollten eingeschaltet bleiben. Wichtig ist, die Systeme anschließend wieder zu aktivieren, was leider oft vergessen wird. Welche Fahrerassistenzsysteme für Fahrzeuge geeignet und notwendig sind, hängt vom jeweiligen Einsatzzweck ab.
Aus Gründen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes sollten sie sich nach einer bestimmten Zeit automatisch wieder aktivieren. Nur so ist gewährleistet, dass die Systeme im Notfall zur Verfügung stehen und Unfälle verhindern.

Zwei Fragen an den Experten

Welches Assistenzsystem ist für Linienbusse besonders wichtig?

Ein wichtiges Assistenzsystem für Linien­busse ist das Not­brems­system. Dieses System erkennt potenzielle Gefahren­­situationen wie plötzliches Bremsen der vor ihm Fahrenden oder Hindernisse auf der Fahr­bahn und kann automatisch eine Not­bremsung einleiten, um Unfälle zu vermeiden oder deren Folgen zu minimieren.

Sind Abbiegeassistenzsysteme auch für Linienbusse sinnvoll?

Ja, Linienbusse sind groß und haben große tote Winkel, was die Gefahr von Abbiege­unfällen erhöht. Ein Abbiege­assistenz­system kann dem Fahrpersonal helfen, zu Fuß Gehende, Radfahrende und andere Verkehrsteilnehmende im Blick zu behalten und so Unfälle zu vermeiden. Daher kann die Nachrüstung eines Abbiege­assistenz­systems bei Linienbussen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.

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