Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren – Gefährliche Vibra­tionen verringern

Arbeitsbedingte Vibrationsbelastungen können über längere Zeit und bei entsprechender Intensität zu Gesundheitsschäden führen. Auch eine Berufskrankheit ist möglich. Durch präventive Maß­nahmen können Unternehmen ihre Beschäftigten wirksam schützen.

Um die Klebefuge an den Fahr­zeugen der Leipziger Verkehrs­betriebe freizuschneiden, nutzten die Beschäftigten der IFTEC eine neue Griff­konstruktion am Cutter. Die Messungen ergaben, dass der Schwingungsgesamtwert im Vergleich zu herkömmlichen Maschinen um mehr als zwei Drittel reduziert wurde.

Beim Herausschneiden  großer Fahrzeugscheiben kommen in der Regel oszillierende Messer zum Einsatz. Diese können durch Vibrationen extrem hohe Belastungen für Hände und Arme verursachen. Seitens der Gerätehersteller werden allerdings kaum Möglichkeiten angeboten, um die Vibrationsbelastung zu reduzieren. Ohne eigene Maßnahmen in den Betrieben lassen sich deshalb die geltenden Grenzwerte für die Beschäftigten im Bereich der Fahrzeuginstandhaltung kaum einhalten. Kritische Werte werden oft schon nach wenigen Minuten erreicht oder überschritten, sodass für die betroffenen Beschäftigten dann Arbeiten irgendeiner Art, die Vibrationen für Hände und Arme bedeuten, erst einmal nicht mehr erlaubt sind.

Wer die entsprechenden Grenzwerte missachtet, muss mit ernsthaften Gesundheitsrisiken rechnen. Denn Personen, die regelmäßig zu hohen Hand-Arm-Vibrationen ausgesetzt sind, leiden langfristig möglicherweise an: 

  • Durchblutungsstörungen der Finger (Weißfingerkrankheit) 
  • Neurologischen Dysfunktionen – zum Beispiel Taubheitsgefühl 
  • Knochen- und Gelenkschäden an Händen und Armen 
  • Karpaltunnelsyndrom (anerkannte Berufskrankheit, BK-Nr. 2113)

Risiken senken

Gemäß der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung ist seit dem Jahr 2007 jeder Unternehmer verpflichtet, die Gefährdung durch Vibrationseinwirkung am Arbeitsplatz 

  •  zu ermitteln, 
  •  zu bewerten und
  • gegebenenfalls Präventions­maßnahmen einzuleiten sowie
  • arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten.

Hierzu ist es wichtig, die Rahmenbedingungen, die Vibrationsintensität sowie die Einwirkungsdauer der Hand-Arm-Vibrationen möglichst genau zu erfassen.

Aus der Vibrationsintensität und der täglichen Einwirkungsdauer wird die Hand-Arm-Vibrationsexposition ermittelt, die mit den Vibrationsgrenzwerten „Auslösewert“ und „Expositionsgrenzwert“ verglichen werden muss. Sind die Grenzwerte nicht eingehalten, müssen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten getroffen werden. Hierbei sollten Unternehmen nach dem bekannten Präventionsprinzip „STOP“ (Substitution, Technik, Organisation, Person) zunächst die Maßnahmen ergreifen, die unabhängig vom Verhalten des Beschäftigten wirksam sind. „Substitution“ wäre die Maßnahme der Wahl, wenn durch ein anderes, vibrationsfreies Verfahren die Arbeitsaufgabe in entsprechender Qualität erledigt werden könnte, etwa mittels Schneidedrahtverfahren.

„Technik“ steht für Maßnahmen, durch die sich zum Beispiel die Vibrationsintensität für Hände und Arme der Beschäftigten reduzieren lässt. Für eine solche technische Maßnahme hat sich die IFTEC GmbH in Leipzig entschieden. Das Unternehmen stand 2018 vor der Aufgabe, für die Leipziger Verkehrsbetriebe circa 1.000 Fahrzeugscheiben auszutauschen. Vor diesem Hintergrund wurde ein elektrisches Schneidgerät umgerüstet und mit einem speziellen Zusatzgriff versehen. Auf diese Weise ließ sich die Vibrationsbelastung der Beschäftigten erheblich reduzieren. Die Idee hat die IFTEC aus dem VBG-Fachwissen warnkreuz SPEZIAL Nr. 25 „Hand-Arm-Vibrationen entgegenwirken: Her­austrennen von Fahrzeugscheiben“ aufgegriffen und für die anstehenden Aufgaben optimiert. Das bedeutet, dass die einzelnen Beschäftigten das Gerät nun deutlich länger ohne Unterbrechungen nutzen können. „Mit den modifizierten Geräten schaffen wir jetzt deutlich mehr Fahrzeuge pro Tag und schützen außerdem auch unsere Mitarbeiter“, erklärt Henri Muck, IFTEC, Leiter Wagenkasten und Lackierung.

Die bei der IFTEC vom Institut für Arbeitsschutz (IFA) durchgeführten Messungen haben gezeigt, dass der Schwingungsgesamtwert bei den modifizierten Geräten im Vergleich zu herkömmlichen Maschinen ohne Zusatzgriff um mehr als zwei Drittel reduziert wurde. Bei den Tests wurden für jeden Betriebszustand mindestens fünf Wiederholungsmessungen durchgeführt. Dabei kamen zwei bezüglich des Baujahres unterschiedliche Maschinen zum Einsatz, und es wurden Zusatzgriffe aus Aluminium und Stahl eingesetzt.

Das wesentliche Konstruktionsmerkmal des Zusatzgriffes besteht in der doppelten, unabhängig voneinander wirkenden Entkoppelung der Schwingbewegungen. Dieser Effekt ließ sich durch die in Gummi gelagerte Hand­griff­befestigung und die zusätzliche, schwingungsgedämpfte Geräteaufnahme im Tragelement erreichen.

Aus den Messergebnissen ist ersichtlich, dass der Schwingungsgesamtwert durch die technische Modifikation auf mindestens ⅓ des Wertes ohne Zusatzgriff reduziert werden konnte. Das heißt, die Belastung des Nutzers durch Vibrationen und Schwingungen im Hand-Arm-Bereich ist deutlich geringer.

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Mögliche neue Gefährdungen

„Wer sein Arbeitsgerät auf diese Weise umrüstet, sollte auf jeden Fall beachten, dass das eine Veränderung darstellt, die die Konformitätserklärung des Herstellers der ursprünglichen Maschine ungültig werden lässt“, erklärt Klaus Gaik, technische Aufsichtsperson der VBG. Neben dem im Sinne der Schwingungsbelastung verbesserten Arbeitsschutz kann eine solche Modifikation andererseits auch eine zusätzliche Gefährdung verursachen. So können die Hebelwirkung und der durch den Griff verlängerte Hebelarm – insbesondere beim Verdrehen des Geräts – größere Kräfte auf das Messer ausüben. Auf diese Weise steigt das Risiko, dass das Messer durchbricht und Personen in der Nähe durch umherfliegende Bruchstücke verletzt werden.

Das Unternehmen, das seinen Beschäftigten Arbeitsmittel ohne Konformitätserklärung überlässt beziehungsweise zur Verfügung stellt, bewegt sich formell in einer juristischen Grauzone, die im Einzelfall geklärt werden muss. Das Unternehmen sollte sich selbst im Sinne der Maschinenverordnung in die Rolle des Herstellers begeben und das Konformitätsverfahren nach Produktsicherheitsgesetz durchführen. Dazu gehört unter anderem, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, eine Konformitätserklärung zu erstellen und das CE-Zeichen auf dem Gerät anzubringen. Die Gefährdungsbeurteilung kann beispielsweise ergeben, dass noch zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind oder die Bedienungsanleitung ergänzt werden muss.

Zwei oszillierende Messer sind abgebildet. Das linke Messer ist ein längliches Gerät, an dessen schwarzen Vorderteil sich eine Metallscheibe befindet, die vibrieren aknn. Am hinteren orangenen Teil sind ein Kabel und der Schalter angeschlossen Das rechts abgebildete Messer ist modifiziert. Es hat hinten einen langen schwarzen, knaufartigen Griff, der über ein Metallgestell mit dem Gerät verbunden ist. Vorne sind zwei dicke Querstreben angebracht, unten befindet sich eine Klinge. Neben dem Messer liegt ein Zentimetermaß mit einer Länge von 50 Zentimetern.

Fazit – WERTE IM GRÜNEN BEREICH

Auch wenn inzwischen vibrationsgeminderte Maschinen verglichen mit herkömmlichen Cuttern weit geringere Vibrationseinwirkungen zeigen, so lassen sich mit entsprechend gestalteten Hilfsgriffen die Vibrationen im erheblichen Maß weiter reduzieren. Da die Minderung durch den Griff aus Stahl vergleichbar mit der Ausführung in Aluminium ist, empfiehlt sich aus ergonomischer Sicht die leichtere Variante aus Aluminium. Durch die Verwendung der Griffe und die Begrenzung der Nutzungsdauer ist es bei IFTEC nun kein Problem mehr, die Grenzwerte für die untersuchten Arbeits­prozesse einzuhalten.

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