Unfälle mit Straßen- und Stadtbahnen führten in den letzten Jahren zu Verletzungen und Schäden in Millionenhöhe. Neue Assistenzsysteme helfen, diese Ereignisse zu reduzieren und die Schäden zu minimieren. Die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH (VGF) hat in ihren Straßen- und Stadtbahnen erfolgreich Fahrerassistenzsysteme (FAS) installiert, die Zusammenstöße verhindern sollen.
Kollisionswarner sind für Lkw über acht Tonnen seit 2015 Pflichtausstattung. Damit sollen die meist schweren durch Lkw verursachten Unfälle verhindert werden. Für Schienenfahrzeuge gibt es diese Forderung nicht, obwohl Kollisionen mit diesen Fahrzeugen immer wieder zu schweren Unfällen, Verletzungen und Sachschäden führen.
Ausgangslage und Ziele
Auch im Fahrbetrieb der VGF kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Auffahrunfällen. Dabei stießen Straßenbahnen mit Lkw, Schienenbegrenzungen (zum Beispiel Prellböcken) oder anderen Straßenbahnen zusammen. Die Folgen waren Personenschäden, hohe Sachschäden, lange Ausfallzeiten von Personal und Fahrzeugen. Daraus ergab sich die Idee, Abstandswarner zur Kollisionsvermeidung einzuführen. Die Fahrerinnen und Fahrer sollten durch ein technisches System unterstützt werden, ohne dass dieses sie ersetzt. Das Fahren auf Sicht entsprechend der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) musste unberührt bleiben und die Fahrbediensteten mussten weiterhin für die Vermeidung von Kollisionen hauptverantwortlich sein.
Erste Ansätze des 2013 gestarteten Projekts beschäftigten sich mit den Fragen,
- wovor das FAS warnen soll,
- ob es nur warnen oder in die Bremse eingreifen soll,
- wo die optimalen Einbauräume für die Sensoren sind,
- wie mit Fehlalarmen umgegangen wird,
- unter welchen Voraussetzungen das FAS vom Fahrpersonal akzeptiert wird und
- ob die Technische Aufsichtsbehörde (TAB) das System abnimmt.
Inzwischen ist die Entwicklung vorangeschritten und zwei Systeme sind bei der VGF im Einsatz. Bestandsfahrzeuge der R- und S-Reihen wurden mit den FAS nachgerüstet. Die „R-Wagen“ haben das System von Bosch erhalten, die „S-Wagen“ das von Bombardier. Ab der neuesten Baureihe der „T-Wagen“ werden in der aktuellen Fahrzeugbeschaffung alle Fahrzeuge mit Kollisionswarneinrichtungen ausgestattet. Dies wird seitens der VGF im Lastenheft gefordert.
FAS der Firma Bosch
Die Firma Bosch nutzt ihre Kompetenzen aus der automobilen Großserie. Das FAS arbeitet mit einem Video- und einem Radarsensor, die Auswertung erfolgt über ein leistungsfähiges Steuergerät. Der Radarsensor erfasst den Raum vor der Bahn bis zu 60 Meter weit und misst Abstand und Geschwindigkeit (Differenzgeschwindigkeit zwischen Straßenbahn und möglichem Kollisionsgegenstand) zu vorausfahrenden Autos, Bussen und anderen Straßenbahnen.
Detektiert werden neben beweglichen Hindernissen auch fest stehende Objekte, zum Beispiel Prellböcke oder Hallentore. Der Videosensor erfasst den Schienenverlauf und erkennt beispielsweise Querbewegungen früh und präzise. Das zentrale Steuergerät verbindet die Informationen beider Sensoren zu einem detaillierten Bild der Umgebung. Ergibt sich daraus, kombiniert mit der Geschwindigkeit der Bahn, eine potenziell kritische Situation, wird das Fahrpersonal akustisch gewarnt. Erfolgt durch die Fahrerin oder den Fahrer innerhalb von zwei Sekunden keine Reaktion, bremst das System die Bahn bis zum Stillstand ab. Erkennt der Fahrer oder die Fahrerin einen Fehlalarm des Systems, kann dieser durch Betätigung der Totmanneinrichtung mit der Hand (Sollwertgeber) oder dem Fuß (Pedal) deaktiviert werden.
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FAS der Firma Bombardier
Die Technologie von Bombardier basiert auf der vom Austrian Institute of Technology (AIT) entwickelten „3D Stereo Vision“. Das FAS arbeitet mit einem Stereokamerasystem, das mögliche Hindernisse vor dem Fahrzeug unter Berücksichtigung des Schienenverlaufs erfasst und kategorisiert. Es besteht aus drei Kameras, einer Sync-Box und dem Rechner. Die durch das AIT entwickelten Algorithmen zur Auswertung der Stereobilder erlauben die Verwendung von Mehrkamerasystemen mit hoher Stereobasis. Dies ermöglicht eine hohe räumliche Auflösung und die präzise Überwachung eines Raumes von 60 Metern vor dem Fahrzeug. Werden in diesem Bereich vom System Objekte erkannt, mit denen eine Kollision drohen könnte (Fahrzeuge, Gegenstände, Personen), greift es in die SIFA-Sicherheitsschleife ein. Der Fahrer oder die Fahrerin erhält dann den für diese SIFA-Funktion vorgesehenen Warnton und kann den Bremsvorgang einleiten. Bei Fehlalarm kann mittels SIFA-Taster (Hand oder Fuß) die Warnung quittiert werden. Reagiert der Fahrer oder die Fahrerin nicht, wird auch durch dieses System das Fahrzeug zum Stillstand gebracht.
Handlungsvarianten beider Systeme
Von beiden Systemen werden die folgenden Handlungsvarianten gleichermaßen abgedeckt:
- Der Fahrer oder die Fahrerin erkennt die gefährliche Situation: Er oder sie kann sofort manuell eine der Situation entsprechende Bremsung einleiten.
- Das mögliche Kollisionsobjekt verlässt den Detektionsbereich: Die Warnung wird automatisch zurückgenommen.
- Es handelt sich um einen Fehlalarm, zum Beispiel wegen einer Tüte, die als Kollisionsobjekt erkannt wurde: Der oder die Fahrbedienstete kann die Warnung des FAS für dieses Objekt durch Betätigung des Hand- oder Fußtasters der Totmanneinrichtung unterdrücken.
- Der Fahrer oder die Fahrerin zeigt trotz Warnung auf ein potenzielles Kollisionsobjekt keine Reaktion: Das FAS bremst das Fahrzeug selbsttätig ab.
Die Fahrerassistenzsysteme zeigen ihre Wirkung. Seitdem diese in den Fahrzeugen genutzt werden, gab es keine schweren Unfälle mit anderen Bahnen, Fahrzeugen des Individualverkehrs oder Teilen der Infrastruktur mehr. Da auch Personenschäden vermieden wurden, bilden sie eine wirksame Maßnahme für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten.
Auch in anderen Verkehrsunternehmen werden diese innovativen Fahrerassistenzsysteme zur Kollisionsvermeidung für Straßen- und Stadtbahnen genutzt. Bei der Fahrzeugneubeschaffung wird das FAS von vielen Unternehmen inzwischen im Lastenheft gefordert. Wegen der langen Lebensdauer von Schienenfahrzeugen sollte aber geprüft werden, ob eine Nachrüstung der Bestandsfahrzeuge möglich ist.
Drei Fragen an den Experten
Was ist das Besondere an den FAS?
Das FAS hat eine ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor dem Fahrzeug. Bei möglicher Kollisionsgefahr erhält der Fahrer eine akustische Meldung und kann angepasst reagieren. Nur wenn diese Reaktion ausbleibt, erfolgt eine automatische Bremsung bis zum Stillstand des Fahrzeugs. Ist ein Stillstand vor dem Hindernis physikalisch nicht mehr möglich, wird in der Regel die Kollisionsgeschwindigkeit so reduziert, dass die Folgen eines Zusammenstoßes deutlich gemindert werden.
Wie werden die FAS vom Fahrpersonal angenommen?
Das Assistenzsystem wird sehr gern angenommen und es wird um Ausrüstung weiterer Fahrzeuge geworben. Wichtig ist, dass die Fahrbediensteten:
- nur zuverlässig vor realen Hindernissen gewarnt werden,
- keine „Reizüberflutung“ durch Warnungen erhalten,
- nur eine geringe Anzahl von „Falschmeldungen“ erhalten,
- einen Ansprechpartner für Fragen, Anregungen und Fehlermeldungen haben.
Wie wurde das Fahrpersonal vorbereitet?
Im Rahmen der Fahrschul- oder Dienstausbildung wurden Schulungen durchgeführt. Der Zeitbedarf für die (theoretische und praktische) Ausbildung beträgt etwa zwei Stunden.